Monday, June 25, 2007

Bernd Becher 1931 - 2007







um Tod von Bernd Becher

Jäger einer verschwundenen Welt

Von Werner Spies


24. Juni 2007
Der Gang in die Ateliers und Archive, die Bernd und Hilla Becher in der Alten Schule in Kaiserwerth eingerichtet haben, die Gespräche am riesigen Tisch gehören zu dem, was man nicht vergessen will. Immer ging es hier um die Ordnung flüchtiger Dinge und die Erinnerung an verlorene Orte. Aus diesem Grunde hat es etwas zutiefst Anrührendes, dass der so sachliche Arbeitsplatz, an dem Bernd und Hilla Becher wie ein siamesisches Zwillingspaar ihrer unteilbaren Passion nachgingen, an eine salische Pfeilerbasilika stößt.

Denn liefert nicht die dreischiffige Suitbertuskirche am Kaiserswerther Stiftsplatz das Symbol für das, was die großen Künstler in ihrer beispiellosen Komplementarität suchten, ein nunc stans, eine Ewigkeit im Augenblick? In dem spartanischen, wohlgeordneten Haus begegnete der Besucher dem, was die unverwechselbare Entdeckungsreise der Fotografen bestimmt: Er stand plötzlich mit dem Rücken gegen die verflossene, entwertete Zeit. In Tausenden von Aufnahmen haben Bernd und Hilla Becher Industriearchitekturen dokumentiert. Sie zeigen, wie Zeugen der Schwerindustrie, Fördertürme, Kalköfen, Wassertürme, Getreidesilos, Hochöfen, Kohlebunker, Gasbehälter verschwinden und ersetzt werden.

Eiskalte Repertorien der industriellen Welt

Bernd Becher (1931-2007)

Im Laufe der Jahre entstehen, von kaum jemandem wahrgenommen, eiskalte Repertorien der industriellen Welt. Darin tauchen die Produktionsstätten auf, die unwiederbringlich hinter Börsenberichten und Bilanzen verschwunden waren. Bernd und Hilla Becher taten ihr Werk mit einer Unparteilichkeit, die auf subjektive Eingriffe verzichtete. Wie in August Sanders Sammelwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ging es um Fülle und Typologie. Bei der Arbeit gab es auch keine nationalen Grenzen. Die Fotografen zogen immer gemeinsam in andere Länder, in andere Kontinente, um bei ihrem Sammeln die transzendentalen Kategorien aufzuspüren, die den Erfindungsgeist der Industrialisierung zu veränderten Formen zwang.

Ein immer gleiches gedämpftes Streulicht lässt die Wassertürme oder Kohlebunker nur leicht hervortreten. Der Blickpunkt wird so gewählt, dass sich das Motiv ruhig in die Bildmitte einschreibt. Nirgends spielen die Fotografen mit der Vereinzelung, die, wie in der pittura metafisica, eine irreale Stimmung zustande bringen könnte. Schattenwurf und Dramatik werden vermieden. Sonnenaufgänge, Landschaft, Gewitter, Rauch und Spuren von Arbeit fehlen; und dort, wo in den Sommermonaten ein Baum einen Giebel auflockert und eine Form unleserlich macht, beginnt ein geduldiges Warten auf Herbst und Winter. Nur kahle Zweige befingern die Fassade.

Vom Menschen selbst fehlt jede Spur

Von der Arbeitswelt, vom Menschen selbst entdecken wir keine Spur. Es ist eine Welt, die auch die Neutronenbombe in diesem Zustand übrig lassen würde. Man spürt, dass die Suche nach dem Standort und der Umgang mit Belichtungszeit nichts mit der Ermittlung von Aktualität zu tun haben möchten. Im Systematischen der Technik und in der Beschränkung auf ein Motiv drückt sich etwas Fatales aus. Die gleichbleibende Einstellung der Kamera, die die Frontalität, Symmetrie und Redundanz der Formen hervorhebt, bringt eine Unerbittlichkeit zustande. Die Melancholie der Gespräche, die sich in dieser Welt von gestern verfing, unterstrich, dass die Künstler Bildern hinterherliefen, die nicht mehr der Jetztzeit angehörten.

Denn eigentlich erreichen die abertausend Konstellationen, die in diesem Planetarium von Industrieformen erscheinen, unser Auge mit Verspätung. Sie scheinen von dem Licht längst erloschener Sterne erhellt zu werden. Das Inventar, das Bernd und Hilla Becher anlegen, ist so besehen alles andere als optimistisch. Man könnte auch nicht sagen, dass es den Einfallsreichtum der Ingenieure feiert. Mit einem Schlag lässt sich Platonismus mit den Händen greifen.

Es geht um das Übersehene


Es geht ihm zu einer Zeit, da sich die Maler mehr und mehr auf eine innere Sicht zurückziehen, um das Übersehene. In diesem Augenblick wird die Begegnung mit seiner späteren Frau Hilla Wobeser entscheidend. Die Fotografin gibt ihm die Mittel, um zu einer neuen, unterkühlten Auseinandersetzung mit dem Sujet vorzudringen. Die Trauerarbeit verzichtet auf Larmoyanz, die sich an das Vergehen des physischen Lebens heften könnte. Das Werk projiziert die Tristesse in die Dinge. Vergessen wir nicht, es ist die Zeit des Nouveau Roman und der Nouvelle Vague, die Zeit, die alles Psychologisieren zensiert.

Die Arbeiten der Bechers bringen eine Stimmung zustande, die sich am ehesten mit der vergleichen lässt, die von Boltanskis Werk ausgeht. Auch ihre Aufnahmen kreisen fast ausnahmslos um Abwesendes und Vergangenes. Die monumentale Werkschau, die die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen vor drei Jahren ausrichtete, machte dies alles sichtbar. In der Präsentation trat das Typologische in den Vordergrund. Man stand vor heroischen Friedhöfen menschlicher Erfindungen; nie zuvor hatte der Besucher an einem derart verwirrenden Totenamt für abgelegte industrielle Formen teilgenommen.

Treibjagd auf eine verschwindende Welt

Er traf auf Wände voller Verlustanzeigen. Dies gilt vor allem für die Arbeiten, die auf die ersten Beutezüge zurückgehen. Inzwischen darf man behaupten, dass diese Treibjagd, die eine verschwindende Welt einfangen möchte, wenigstens ein wenig dafür gesorgt hat, Aufmerksamkeit für das Übersehene zu schaffen. Eine der ersten Publikationen, „Zeche Zollern 2“ (1971), führte dazu, diese Architekturen und Aufbauten mit den Augen des Archäologen zu betrachten.

Auch der Denkmalschutz begann sich, dank der Pionierleistung der Bechers, für Formen zu interessieren, die zuvor als banal und rein utilitär abgetan wurden. Die Titel der Bildbände kündeten das Umdenken an. Auf „Anonyme Skulpturen“, die noch den ästhetischen Ansatz gelten lassen, folgten die systematischen Kompendien, die unterstreichen, dass es nun nicht mehr um die Präsentation von anonymen Einzelformen ging, deren stupenden formalen Reichtum man am Interesse absichern konnte, das damals der konstruktivistischen Skulptur galt.

Die Aufnahmefähigkeit strapaziert

Denn inzwischen war das Archiv der Bechers so stark angewachsen, dass die Verblüffung über die minimalen Abweichungen, die zwischen den einzelnen Formen lagen, in den Vordergrund trat. Die Bilderjagd hatte dafür gesorgt, dass sich das OEuvre vom einzelnen Bild und von der nachweisbaren Topographie befreien konnte. Es ging um die Begegnung mit einer überreichen Fülle, die die Aufnahmefähigkeit des Betrachters strapazieren musste. Wir kennen eine derartige Entmutigung durch das Labyrinth von Formen nur noch aus den Bilderserien Picassos. Dieses Sehen, in dem eine Form auf die andere zurückstrahlt, passt in die Zeit von Op-Art.

Sie gehört zum Spiel mit Labilität und Veränderung, das in den Händen eines Josef Albers gleichfalls ein ethisches Ziel verfolgte: Der Relativismus der Variationen sollte das intolerante Kunstverständnis und damit die Rechthaberei und Dominanz von Lösungen abschaffen. Auch im Gespräch mit Bernd Becher wurde deutlich, dass die unermüdliche Beschäftigung mit formaler Differenz, die Lust am Umgang mit der Ermüdung von Formen über das Interesse am Seriellen und am Spaß an rein formalen Trippelschritten hinausreichte, zu denen das Inventar immer neuer, nie zur Ruhe kommender Industrieformen führte. Das Paar wusste genau, was es wollte und was für die eigene Arbeit nicht in Frage kam. Zu den Tabus gehörte die Farbe, zu den Tabus gehörte die digitale Bearbeitung von Aufnahmen.

Gursky oder Höfer waren ihre Schüler

Und dazu zählte nicht zuletzt auch der selbstkasteiende Verzicht auf den profitablen, monumentalen Abzug. Die Beschränkung auf das kleinere Format sollte die Heroisierung des einzelnen Motivs unterbinden. Auf diese Weise hatten Bernd und Hilla Becher zusammen, unzertrennlich Berühmtheit erlangt. Und etwas ganz Entscheidendes: Bernd Becher war, auch hier assistiert von seiner Frau Hilla, ein überragender Lehrer, der an der Kunstakademie Düsseldorf überragende Schüler zu ermuntern vermochte.

Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer, Axel Hütte - sie alle verdanken dem disziplinierten, verzichtenden Sehen, einem Sehen, das Spontaneität und Schnappschuss verachtete, ihre großen Karrieren. Nun ist Bernd Becher fünfundsiebzigjährig in einem Rostocker Krankenhaus gestorben.